Mutismus

Die systemische Mutismus-Therapie / SYMUT

Dozent: Dr. Boris Hartmann ( Sprachheilpädagogik , Heilpädagogische Psychiatrie, Lehrbeauftragter der Uni Fribourg/CH, Buchautor )

Der elektive oder selektive Mutismus (ICD-10, Code: F94.0) ist eine komplexe Angst und Verhaltensstörung, die vorwiegend im Kindes- und Jugendalter auftritt und durch die Unfähigkeit gekennzeichnet ist, in spezifischen sozialen Situationen oder gegenüber einem bestimmten Personenkreis zu sprechen. Die Betroffenen können in Umgebungen, in denen sie sich sicher und entspannt fühlen, unbeschwert reden. Sie kommunizieren dann sogar häufig überdurchschnittlich viel, um das an anderer Stelle auftretende Schweigen zu kompensieren.

Beim totalen Mutismus wird in jedem Umfeld geschwiegen.

Ein oder mehrere Punkte von der folgenden Liste können auf ein mutistisches Verhalten hinweisen:

  • in bestimmten Situationen oder bestimmten, meist fremden oder wenig vertrauten Personen wird nicht gesprochen.
  • oft haben die Personen einen leeren/versteinerten Gesichtsausdruck und wirken depressiv, traurig oder verschlossen.
  • jeder Blickkontakt wird möglichst gemieden.
  • in nicht vertrauten Situationen ist die Körpersprache steif und verkrampft.
  • ziehen sich in der Schule zurück, melden sich kaum oder machen nichts freiwillig.
  • auf Partys und Feste stehen Sie oft abseits.
  • fühlen sich in Menschenmengen unwohl.

Die genauen Ursachen sind bisher noch nicht bekannt. Es kommen sowohl psychologische Faktoren wie Stress, entwicklungshemmende Milieueinflüsse, Lernprozesse oder Anpassungserschwernisse als auch physiologische Faktoren wie die Unterversorgung von Serotonin im Hirnstoffwechsel, eine Übererregung der Amygdala (das so genannte Angstzentrum) oder Entwicklungsstörungen in Frage.

Wird das Schweigen nicht als Störungsbild erkannt, verstärkt sich die zugrunde liegende Angst bzw. Sozialphobie durch weitere ungünstige und damit aufrechterhaltende Negativerfahrungen des Betroffenen.

Mutisten sind nicht dumm, sie sprechen nur nicht!

Häufig werden mutistische Kinder als stur, faul, unverschämt oder verstockt beschrieben. Die Personen, mit denen nicht gesprochen wird, beziehen diese Verweigerung oft auf sich persönlich. Um „Kommunikationspausen“, Fragen und ärger diese Menschen zu umgehen, über nimmt die Kommunikation häufig ein Anderer (z.B. die Mutter ). Als „Sprachrohr“ wird so versucht, das Nichtsprechen in den Alltag zu integrieren. Dies gelingt natürlich nur solange, wie das „Sprachrohr“ anwesend ist (Kindergarten, Schule?).

8 Stufen Diagnostik:

  • 1. Mutismusdiagnostik und Differentialdiagnostik mit Hilfe der ICD-10 bzw. des DSM-IV.
  • 2. Ausschluss neurologischer Erkrankungen
  • 3. HNO- ärztliche Untersuchung
  • 4. Patienten- und Familien Anamnese
  • 5. Psychologische Interpretation
  • 6. Sprachdiagnostik
  • 7. Bewertung des sozialen Kommunikationsverhaltens mit dem Mutismus-Soziogramm und dem Evaluationsbogen für das sozialinteraktive Kommunikationsverhalten bei Mutismus
  • 8. Beschreibung emotionaler Motivationskriterien

Diagnostik Kriterien:

  • Liegt eine abgeschlossene Sprachentwicklung im Sinne einer kommunikativen Grundfähigkeit vor?
  • Ist das Sprachverständnis altersentsprechend?
  • Lässt sich ein Unterschied im kommunikativen Verhalten feststellen: hier der Schweigende, dort der Redselige?
  • Gibt es eine Voraussagbarkeit dieses unterschiedlichen Kommunikationsverhaltens, d.h., können Situationen genannt werden, in denen man im Voraus wissen kann, dass geschwiegen wird?

Die Therapie erfolgt in vier Phasen:

  • 1. Präverbale Phase
  • 2. Lexikalisch-syntaktische Phase
  • 3. Kommunikativ-sozialinteraktive Phase
  • 4. Nachbetreuungsphase
  • wenn Kinder weniger als 50 Wörter sprechen
  • oder keine Wortkombinationen
  • ohne dass eine Primärbeeinträchtigung vorliegt.

Die Grundvoraussetzungen für die Therapie sind:

  • die eigene Motivation die Situation zu verändern
  • die Mitarbeit der Eltern / Partner, aufrechterhaltene Verhaltensweisen abzubauen

 

Quellen: „Mutismus“ (Mutismus Selbsthilfe Deutschland e.V.); „Gesichter des Schweigens“, Boris Hartmann